Lieber René,
zunächst einmal vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst und mir zu einem Interview bereitstehst. Wir haben uns im Rahmen des HOMER -Literaturpreises 2023 kennengelernt und auch in diesem Jahr stehst Du mit „Die Totenärztin: Schattenwalzer“ wieder auf der Shortlist. HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!
Danke, für mich ist das wirklich eine Riesenwertschätzung. Mir ist ja in jedem meiner Romane neben der Spannung auch wichtig, dass es Humor und sehr viel Menschliches geben darf. Das ist in einem historischen Setting nicht besonders verbreitet und umso mehr freue ich mich, dass das ankommt.
Mich interessiert jetzt jedoch ein ganz anderer Roman von Dir, der abseits von Wien im schönen Frankreich spielt. „Tödlicher Duft“ ist im Februar dieses Jahres erschienen und entführt die Leser nicht nur in eine andere Region, sondern auch eine andere Zeit als „Die Totenärztin“-Reihe. Mit Commissaire Campanard hast Du zudem eine neue Figur erschaffen. Magst Du kurz vom Inhalt des Krimis berichten?
Es geht um die Welt der Düfte und wie sehr sie uns beeinflussen. In Grasse in Südfrankreich, der Weltstadt des Parfums, geben sich die berühmtesten Duftkreateure der Welt, sogenannte Nasen, die teilweise wie Popstars gefeiert werden, die Klinke in die Hand. Der berühmteste von Ihnen, der den Beinamen „Der König der Düfte“, trägt wird tot in einem Bottich von Kamelienblüten gefunden. Daneben Scherben, an denen Spuren eines unbekannten Dufts gefunden werden.
Der Ermittler, Louis Campanard, ist ein sehr ungewöhnlicher Commissaire, ein Bär von einem Mann, allerdings zu jedem immer freundlich und respektvoll. Er trägt grellbunte Hemden und ist bei seinen Fragen absolut unkonventionell. Insgesamt ist er das Gegenstück zum wortkargen, alkoholabhängigen Kriminalpolizisten, den man vielleicht schon ein paarmal zu oft gelesen hat.
Campanard ist zwar freundlich, trägt aber ein ziemlich schwerwiegendes Geheimnis mit sich herum, genau wiesein Team – und das ist, wie sich allmählich herausstellt, kein Zufall.
Apropos Team: Campanard weiß, dass wenn man wirklich in die Welt der Duftkreateure eintauchen möchte, damit man die nötigen Antworten bekommt, muss man einer von Ihnen sein. Deshalb engagiert er die junge Psychologin Linda Delacours und schleust sie undercover als „Nase in Ausbildung“, bei einer traditionsreichen Parfumerie ein. Mit ihr lernt man diese mysteriöse Welt kennen. Sie ist das Gegenteil von Campanard, eine junge, moderne, kühle Pariserin, und auch sie hat mit ihren Dämonen zu kämpfen und bald finden sich beide im Fokus des Mörders wieder, der anscheinend die Macht besitzt, mit Düften zu manipulieren.
Wie kam zu dem Wechsel, der Auswahl des Ortes und der Duft-Thematik? Verbindet Dich etwas damit?
Mich hat wissenschaftlich fasziniert wie machtvoll uns Düfte eigentlich beeinflussen. Im Gegensatz zu anderen Sinnesreizen aktivieren sie im Gehirn direkt, ohne Filterung, das Erinnerungs- und Gefühlszentrum. Jeder kennt das, man riecht etwas und plötzlich ist man wieder Kind in der Küche der Großmutter. Zu dieser Faszination kam natürlich diese bezaubernde und sinnliche Gegend rund um Grasse, wo ich sowohl physisch als auch in Gedanken gern hinreise.
Wie sehen Deine Recherchearbeiten allgemein aus? Läufst du die Wege Deiner Protagonisten ab?
Unterschiedlich. Wie es eben erforderlich ist. In Grasse habe ich zum Beispiel die alten Parfumerien besucht und selbst einen Kurs belegt, um zu verstehen wie dieses Handwerk funktioniert.
Natürlich habe ich mir auch Wege in der Region und den verschiedenen Handlungsorten angesehen, aber ganz ehrlich: im Vergleich zur Recherche für einen historischen Roman, geht das alles viel schneller
Wie kamst Du zum Schreiben? Was inspiriert Dich?
Ich bin immer schon fasziniert von Geschichten gewesen. Sie entstehen in meinem Kopf, entwickeln eine Art Eigenleben und manifestieren sich. Ich habe schon einen starken Drang das dann auch aufzuschreiben, da habe ich eher das Problem, zu viele Ideen, zu wenig Zeit.
Inspirieren kann mich alles Mögliche, am meisten aber sicher Menschen und Gespräche, manchmal klaue ich regelrecht, von Dingen, die ich Menschen sagen höre, weil sie einfach perfekt zu einem Moment in der Geschichte passen.
Zum Beispiel sagt eine etwas harsche Pensionswirtin in „Tödlicher Duft“ den etwas zweideutigen Satz: „Vorurteile muss man sich erst verdienen.“ Der Satz stammt 1:1 von einer Münchner Passantin.
Könntest Du Dir vorstellen auch in einem anderen Genre aktiv zu werden?
Ich hab ja schon im historischen Bereich, im Krimi und im Sachbuch Erfahrungen gesammelt. Mit dieser Vielfalt bin ich gerade gut ausgelastet, wobei ich mich wirklich auf witzige und atmosphärische Gegenwartskrimis fokussieren möchte. Für die weitere Zukunft bin ich allerdings sehr offen für alles.
Was ist bis jetzt der schönste Moment in Deiner bisherigen Zeit als Autor gewesen?
Da gibt es so viele. Einer war sicher der völlig überraschende Gewinn des Preises für den besten historischen Roman des Jahres. Wenn man Autor ist, gibt es ja keinen Titel oder Zertifikat, dass belegt, dass du wirklich Schriftsteller bist. Und obwohl es wirklich sehr gut läuft und ich tolles Feedback bekomme, komme ich mir manchmal immer noch wie ein Gast in dieser Welt vor. Der Moment war dann schon so etwas wie eine Bestätigung.
Und zu guter Letzt: Wann kommt das nächste Buch bzw. an was arbeitest Du gerade?
Nächstes Jahr darf man mit zwei Titeln von mir rechnen, auf die ich mich schon sehr freue. Derzeit schreibe ich an der Fortsetzung der Campanard Reihe. Nachdem im ersten Band „Düfte“ das Thema waren, habe ich wieder ein wunderbar atmosphärisches und geheimnisvolles Setting entdeckt, das ich mir im Rahmen einer Recherchereise genauer ansehen werde.
Außerdem wird danach noch ein morbidwitziger Gegenwartskrimi erscheinen. Von dem darf ich noch wenig erzählen, aber hier wird es wieder eine medizinische Komponente geben, und wer Fanny Goldmann mochte, wird dieses Buch lieben.
Lieber René, vielen Dank für das interessante Interview und ich freue mich schon auf unser nächstes Treffen, vielleicht im Rahmen des HOMER Literaturpreises.
René Anour
Dr. René Anour ist ausgebildeter Tierarzt und spezialisierte sich auf die junge Wissenschaft “Conservation Medicine”, die das Ineinanderspielen der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt untersucht.
Während seines Doktorats forschte er im Bereich Pathophysiologie am Langlebigkeitsgen Klotho, wobei ihn ein Forschungsaufenthalt bis an die Harvard Medical School führte.
Er arbeitet inzwischen bei der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit und ist als Experte für neu entwickelte Medikamente für die European Medicines Agency tätig.
Als Autor:
Sein erster medizinhistorischer Roman «Im Schatten des Turms» (Rowohlt, Herbst 2019) beleuchtet einen faszinierenden Aspekt der Medizingeschichte: den Narrenturm, die erste psychiatrische Heilanstalt der Welt. Seit 2021 erscheint ebenfalls bei Rowohlt die medizinhistorische Krimiserie “Die Totenärztin”, die 2023 mit dem “Goldenen Homer” für den besten historischen Roman im deutschsprachigen Raum ausgezeichnet wurde.
Im November 2021 erschien sein erstes Sachbuch “Das Arche Noah Prinzip”. Hier wird auf unterhaltsame Weise erzählt, wie Tiere uns heilen können, genauer gesagt wie besondere Anpassungen der Tierwelt menschliche Krankheiten wie Krebs oder chronischen Schmerz besiegen könnten.
Seit 2024 erscheinen die Krimiabenteuer des schrullig liebenswerten Commissaire Campanard, der in der Provence ermittelt bei Heyne.