Lieber Wolfgang,
zunächst einmal vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst und mir zu einem Interview bereitstehst. Dein aktueller Krimi „Monsieur Acheseau und der Schatz im Sorpesee“ ist am 15. März 2024 erschienen. Magst Du kurz erzählen, worum es in dem Krimi geht und wieso er eine „postfaktische Krimi-Parodie“ ist?
Wenn mein Ermittler das erste Abenteuer „Monsieur Acheseau und der Mord im Sauerland-Express“ hinter sich gebracht hat und in Meschede aus dem Zug steigt, beginnt eine Tour de Sauerland der besonderen Art: Vermutungen verdichten sich durch Hinweise, Schlussfolgerungen und Ermittlungen, dass es irgendwo in der Gegend einen Schatz gibt, den es zu finden gilt. Immer einen Tick voraus sind Acheseau allerdings die Tramps um ihren Anführer, wohl einem Oberst. Stationen dieses Roadtrips mit einer Vielzahl an Karl May-Anlehnungen sind u. a. die Einsiedelei auf dem Heidberg und die Naturbühne in El Spe (einer Partnerstadt von El Paso?). „Postfaktisch“ nenne ich meine beiden Bücher, weil sie auch das Genre Krimi auf den Arm nehmen.
Eigentlich bist Du in der Welt des Theaters verwurzelt. Wie kam es zu der Idee, mal kein Theaterstück, sondern einen eigenen Krimi zu schreiben?
Das Ganze nahm seinen Anfang, als meine Theater-AG am Gymnasium Petrinum in Recklinghausen Anfang der 2000er gerne Agatha Christies „Mord im Orient-Express“ spielen wollte, ich aber den Theatertext bei keinem Theater-Verlag kaufen konnte. So habe ich eine englische und eine deutsche Version für die Bühne verfasst, die – da ich sie nicht vermarkten durfte – für zehn Jahre in der Schublade verschwand. Weil es mir um die geleistete Arbeit Leid tat, beschloss ich, mir einen Tunnel im Sauerland zu suchen und meinen Zug dort stranden zu lassen. Es wurde der Elleringhauser Tunnel, weil man aufgrund seiner Krümmung und Länge nicht von einem Portal zum anderen sehen kann.
Das Stück wollte ich 2020 zu meinem Abschied aus der Schule aufführen. Da kam Corona und stahl mir den Abschied auf der Bühne.
Und so kamst Du auf die Idee für die Krimireihe mit Monsieur Acheseau? Hattest Du besondere Inspirationen oder Vorbilder?
Das durfte nicht alles gewesen sein. Und so beschloss ich, statt aus Romanen anderer (z. B. Gisa Pauly, Ulrich Wickert, Bernd Stelter…) Bühnenfassungen zu erarbeiten, den umgekehrten Weg auszuprobieren. Ich musste natürlich alle Namen der Figuren ändern, und wo ich einmal dabei war, Dinge zu verdrehen, wurde aus Hercule Poirot Sèrecule Acheseau (seines Zeichens Franzose, nicht Belgier und ausgestattet mit einem dunkelblonden Walross-Schnäuzers anstelle eines schwarzen Oberlippenbarts). Das Parodieren nahm seine Fortsetzung in Elementen der Handlung, die ins Abstruse überzeichnet wurden. So reagieren zum Beispiel statt der Menschen manches Mal die Bahnsteigbeleuchtung, die Kleidung einzelner Figuren oder sogar die Einrichtung des Zug-Cafés.
Spielen eigene Erfahrungen bei Deinem Krimi eine Rolle?
Definitiv: Erlebnisse aus der eigenen Schulzeit, wie das Kartenspielen auf dem Schulhof, oder mein oranger Kadett City, der mir durch Studium und Referendariat 200.000 km lang die Treue gehalten hat, sind in das zweite Buch genauso eingewoben wie die Begebenheit um den schwarzen Spaniel. (Das erste Kapitel in Karl Mays „Der Schatz im Silbersee“ heißt übrigens „Der schwarze Panther“.) Die werden selbstverständlich nicht 1:1 übernommen, sondern setzen sich in diesem Fall aus vier Elementen – literarisch kombiniert – zusammen.
Wie kamst Du generell zum Schreiben?
Vor dem Dasein als Theaterautor, hatte ich ein Leben als Haarzopf Harmonist, denn 1996 begann meine Leidenschaft fürs Texten. Zehn Jahre und knapp einhundert Songparodien lang durfte ich den Chorkarneval in der katholischen Gemeinde Christus König in Essen-Haarzopf mitgestalten. Als die jährlichen Närrischen Chorproben an Weiberfastnacht ausliefen, entdeckte ich mit der o. e. Theater-AG ein neues Schreibbetätigungsfeld.
Könntest Du Dir vorstellen, auch in einem anderen Genre aktiv zu werden?
Solange meine Vorliebe für exaktes Arbeiten – damit meine ich beim Schreiben von Songtexten (oder auch bei Limericks) die Einhaltung von Versmaß und Reimschema, beim Schreiben von Romanen die genaue Hintergrund-Recherche (persönlich und vor Ort) – mir meine parodistischen Freiheiten lässt, kann ich mir alles vorstellen.
Apropos Recherche: 1992 haben meine Frau und ich ein Sachbuch verfasst: „Terschelling: Familien-Reisehandbuch mit Kinderteil“ Es gab es bis dato kein auf das Urlaubsziel abgestimmtes Material für Kinder!
Was ist der schönste Moment in Deiner bisherigen Zeit als Autor gewesen?
Das ist eine schwere Frage… Das erste Mal einen eigenen Roman in Papierform in Händen halten zu dürfen, ist schon ein besonderes Gefühl. Und das kommt in Variation jedes Mal zurück, wenn es mir gelingt, bei einer Lesung das Publikum nicht nur zu unterhalten, sondern auch sein Interesse an der Entstehungsgeschichte zu wecken. Und Applaus macht süchtig…
Und zu guter Letzt: Wann kommt das nächste Buch bzw. woran arbeitest Du gerade?
Als nächstes soll es eine Kurzgeschichte werden, die 2025 im Rahmen einer Anthologie von Kurzkrimis zugunsten des „Weißen Rings“ im Klartext erscheinen wird. Auch die wird natürlich wieder gewohnt abstrus, postfaktisch eben. Titel „Alles hat ein Ende, nur…“
Zudem arbeite ich an der Umsetzung meines Theaterstück „Der letzte Martini“ in einen Roman. Mein Jamian Bunt, Agent 997, kommt – da er wie sein Vorbild deutsche Wurzeln hat – in Deutschland ins Seniorenheim, wo er auch seine alte Liebe Moni Pfennig wiedertrifft, die ihren Dienst beim Geheimdienst quittiert hat und in ihren gelernten Beruf als Altenpflegerin zurückgekehrt ist. Mein pensionierter Agent hat übrigens die Eigenart, fortgesetzt in Werbesprüchen der letzten 60 Jahre zu reden. Und die habe ich mir alle von den betreffenden Stellen zur Verwendung genehmigen lassen.
Sollte es einen dritten Sèrecule Acheseau-Band geben, liebäugle ich damit, ihn in den Urlaub an den Gardasee und nach Verona zu schicken.
Lieber Wolfgang, vielen Dank für das interessante Interview.
Wolfgang J. Gerlach
Wolfgang J. Gerlach, geboren 1955, studierte nach seinem Abitur in Witten Englisch und Kunst mit dem Schwerpunkt Fotografie in Essen.
Beeinflusst von den Bänkelbarden seiner Jugend (z. B. Ulrich Roski und Schobert & Black), textete er zwischen 1996 und 2008 über einhundert Songparodien u. a. für die „Haarzopf Harmonists“ im Chorkarneval der katholischen Kirchengemeinde Christus König in Essen-Haarzopf.
Von 2005 bis zu seiner Pensionierung 2020 leitete er die Theater-AG am Gymnasium Petrinum in Recklinghausen.
So entstanden Bühnenbearbeitungen von Autoren wie Curt Goetz, Gisa Pauly, Bernd Stelter, Stücke für junge Zuschauer und „Dinner – für wann?“, die Krimiversion des bekannten TV-Sketches um den 90. Geburtstag von Miss Toffee, die 2019 die erste Aufführung eines Stücks aus seiner Feder außerhalb Nordrhein-Westfalens präsentierte.
„Der letzte Martini“ versteht den Text des Wise Guys-Songs als Ansatz und konstruiert eine Agentenparodie, in der Jamian Bunt, der allseits bekannte Geheimagent 997, seinen Job an den Nagel hängen muss und in ein Altersheim in Deutschland zieht.
Hinzu gesellten sich zahlreiche Satiren sowie eine Rock’n’Roll-Version der Shakespeare-Oper „Windsors lustige Weiber“.
Wolfgang J. Gerlach lebt und schreibt in Essen-Haarzopf und in Haselünne.