Interview mit Wolfgang Armin Strauch

 

Wolfgang Armin Strauch
Foto: Wolfgang Armin Strauch

Lieber Wolfgang,

zunächst einmal vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst und mir zu einem Interview bereitstehst. Am 08. August 2024 erschien Dein Krimi „Cinderellas Lied“. Magst Du kurz erzählen, um was es geht?

Die hochsensible Emely ist verzweifelt. Ihre Mutter hat Leukämie und wartet in der Charité auf eine Stammzellentransplantation. Ihr Vater ist wie vom Erdboden verschluckt. Sie fragt sich, ob die Polizei ihre Vermisstenanzeige ernst nimmt, denn sie ist erst fünfzehn Jahre alt. In ihrer Not wendet sie sich an den Kriminalisten Schlüter, dessen Frau mit ihrer Mutter in einem Zimmer lag und die Krankheit nicht überlebte.

Der Vater wird schwer verletzt neben einer Leiche in Nürnberg gefunden. Emely und Schlüter verstehen nicht, warum er überhastet von Berlin nach Nürnberg gefahren ist. Doch dann bringt ein Polaroidfoto aus dem Jahr 1985 sie auf eine Spur. Damals hat eine Firma aus Nürnberg beim Bau eines Stahlwerks in Eisenhüttenstadt, damals noch DDR, mitgewirkt. Das Foto zeigt ihre Großmutter, die seit 1989 vermisst ist.

Die Handlung wurde von Ereignissen inspiriert, die tatsächlich passiert sind.

1989 verließen DDR-Bürger über Ungarn und später über die offene Grenze das Land. Einige ließen ihre Kinder einfach zurück, die von Kinderheimen aufgenommen. Sie wurden von den Erziehern als „verlorene Kinder“ bezeichnet. Bis heute haben diese Kinder damit zu kämpfen, dass sie verlassen wurden.

 

Cinderellas Lied – Wolfgang Armin Strauch
Herausgeber ‏ : ‎ tredition (8. August 2024)
Sprache ‏ : ‎ Deutsch
Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 196 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3384317130
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3384317131

Dein neustes Buch spielt in Nürnberg, hast Du eine besondere Verbindung zu der Stadt?

Es gibt zwei Gründe, warum ich Nürnberg als Tatort gewählt habe:

Zunächst war ich mehrfach Aussteller bei der Sozialmesse „ConSozial“ in Nürnberg und hatte dabei genügend Gelegenheiten, das Ausstellungsgelände und die Stadt anzusehen. Deshalb befindet sich der Tatort auch in der Nähe des Messegeländes. Ich traf viele Ausstellungsbesucher, hielt Vorträge über meine Kita-Software „KAI“ und wurde von der Bayerischen Staatsregierung auf die Burg eingeladen.

Die zweite Verbindung zur Stadt resultiert aus meinem Stammbaum. In Nürnberg lebte der Maler Lorenz Strauch, von dem ich zwei Kupferstiche besitze. Vermutlich gibt es eine familiäre Verbindung zu Aegidius Strauch, der aus den Niederlanden nach Wittenberg floh und von der Familie des Malers Lucas Cranach unterstützt wurde. Die Wappen der Familien von Lorenz Strauch und von Aegidius Strauch sind nahezu identisch. Lucas Cranach besuchte Albrecht Dürer in Nürnberg und fertigte gemeinsam mit ihm ein Gebetbuch für Kaiser Maximilian in Leuven. Eine Enkelin Cranachs und eine Urenkelin heirateten Vorfahren von mir. Dadurch existiert in der St.-Trinitatis-Kirche von Danzig ein Grabmal, auf dem das Wappen meiner Familie und die geflügelte Schlange der Cranachs dargestellt sind.

 

In Deinem Krimi spielt die hochsensible Emely eine tragende Rolle. Wie kamst Du auf die Idee, einen Krimi mit einer hochsensiblen Protagonistin zu schreiben?

Sensible Menschen werden in Wirtschaft und Politik nicht wertgeschätzt. Wenn man sich auf einen Führungsposten bewirbt, ist es in der Regel von Nachteil, die eigene Sensibilität zu benennen. Oft werden hochsensible Personen als Idealisten oder verweichlichte Fantasten abgewertet. Erst wenn man durch Krankheit, Alter oder schwierige Situationen auf Hilfe angewiesen ist, bemerkt man, wie wichtig sensible Pflegekräfte sind. Spätestens seit Corona sollten die Menschen wissen, wie wichtig es ist, dass es feinfühlige Menschen gibt. Bei allen Naturvölkern und bis heute in Asien haben hochsensible Menschen einen hohen Stellenwert.

Bis vor einigen Jahren kannte ich den Begriff Hochsensibilität nicht. Bei einem Aufenthalt in einer Reha-Klinik erfuhr ich davon. In den Gesprächsrunden lernte ich liebenswerte Menschen kennen, die psychisch am Boden lagen: Junge Frauen, die permanent von ihrer Familie ausgenutzt wurden, Mobbingopfer, denen das Leben in Unternehmen schwer gemacht wurden und sogar ein gestandener Bauarbeiter, der schwere Depressionen hatte. Er wurde von seinen Kollegen ausgegrenzt, weil er keinen Alkohol trank. Sie hatten schon eine Odyssee bei verschiedenen Ärzten hinter sich. Vielfach wurden sie mit Medikamenten behandelt, ohne dass die eigentlichen Probleme gelöst wurden. Bis heute werden hochsensible Kinder behandelt, als ob sie unter ADHS/ADS, dem Asperger-Syndrom leiden oder Autisten sind. Erst in den letzten Jahren hat man begriffen, dass Hochsensibilität eine menschliche Eigenschaft und keine Krankheit ist. Meinem Buch habe ich die Definition der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg vorangestellt:

Hochsensibilität ist eine Persönlichkeitseigenschaft, die mit hoher Sensitivität für und starken Reaktionen auf Sinnesreize einhergeht. Schätzungen zufolge können etwa 15 % bis 20 % der Bevölkerung als hochsensibel gelten. Es handelt sich um eine erhöhte Wahrnehmungssensibilität für äußere und innere Reize.

In meinem Roman sollte die 15-jährige hochsensible Protagonistin unbedingt als starke Persönlichkeit erscheinen. In einer höchst dramatischen Situation kann sie ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten nutzen.

 

Scribent: Sapere aude – Wolfgang Armin Strauch
Herausgeber ‏ : ‎ tredition (4. August 2023)
Sprache ‏ : ‎ Deutsch
Taschenbuch ‏ : ‎ 704 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3347901452
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3347901452
Lesealter ‏ : ‎ Ab 12 Jahren

Könntest Du Dir vorstellen, noch ein anderes Genre auszuprobieren?

Ich habe schon zahllose Songs, technische Sachbücher, ein Kinderbuch und historische Romane geschrieben. Deswegen habe ich auch keine Probleme, in andere Genres zu wechseln. Mein nächstes Buch wird ein historischer Roman sein, der wieder dicht an belegbaren Fakten orientiert ist. Meine Krimis orientieren sich nicht unbedingt an den üblichen Spielregeln für Romane dieses Genres. Die Lösung eines Falles ist eher der Nebeneffekt einer Familiengeschichte oder historischen Ereignisses.

 

Wie sehen Deine Recherchen aus? Läufst Du Wege ab? Tauchst Du in Archive ein?

Mein letztes Buch „Scribent – sapere aude“ war das Ergebnis fast zehnjähriger Recherchen in Archiven auf der ganzen Welt. Die Handlung spielt in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Argentinien und Brasilien.  Die handelnden Personen sind Historiker, fanatische Katholiken, Freimaurer, Nationalsozialisten und Geheimdienstmitarbeiter. Der vordergründige Handlungsstrang umfasst den Zeitraum von 1914 bis 2014. Es geht aber eigentlich um Ereignisse, die zweitausend Jahre umfassen. Im Ergebnis meiner Recherchen habe ich außergewöhnliche Zusammenhänge festgestellt, die ich, im Gegensatz zu Dan Brown, nicht nur beschreibe, sondern abbilde. Jeder Leser kann alle Behauptungen nachvollziehen.

Bei meinem aktuellen Buch bin ich genauso vorgegangen. Ich habe viele Studien und Berichte von Betroffenen gelesen. Die Handlungsorte habe ich mir angesehen und mit Menschen gesprochen, die als Erzieher „verlorene Kinder“ betreuten.

 

Wie kamst Du zum Schreiben? Was inspiriert Dich?

Mit zwölf Jahren habe ich meine ersten Gedichte geschrieben. Daraus wurden relativ schnell Songs, die ich mit meiner Band oder allein vorgetragen habe. Es folgte die Teilnahme an Wettbewerben, bei denen ich gut abschnitt. Aus beruflichen Gründen ruhte meine künstlerische Arbeit einige Zeit. Erst 2010 habe ich meine Songs durchgesehen und neue Titel für mich und andere Künstler geschrieben. Nachdem meine hochbetagten Eltern ihre bewegenden Lebensgeschichten aufgeschrieben haben, entschloss ich mich, Teile davon literarisch zu verarbeiten. Ein Roman ist eigentlich auch nur die Langform eines Songs. Er nutzt die gleichen Mechanismen. Bei Konzerten oder Lesungen stelle ich fest, dass die Menschen gefühlvolle Geschichten annehmen können.

 

Was ist bis jetzt der schönste Moment in Deiner bisherigen Zeit als Autor gewesen?

Einer meiner schönsten Momente als Autor war, als mir meine Lektorin schrieb, dass sie von meinem Roman tief bewegt sei und sich erst einmal beruhigen muss, bevor sie weiterarbeiten kann.

Die Übersetzerin der französischen Fassung meines Buches „Der dicke Mann“ schrieb mir, dass sie jetzt erst die Geschichte ihrer Familie begriffen hat, die ursprünglich aus Polen kam.

 

Und zu guter Letzt: An was arbeitest Du gerade?

Gegenwärtig arbeite ich an einem Roman, der mit Johann Sebastian Bach zu tun hat.

 

Lieber Wolfgang, vielen Dank für das interessante Interview.

 

Wolfgang Armin Strauch

Bereits in der Schule schrieb er erste Gedichte, mit denen er sich an lokalen und überregionalen Wettbewerben beteiligte. Es folgten Liedtexte, zu denen er auch die Musik komponierte. Eine Auswahl seiner Titel nahm er 2010 im RedCube-Studio Hamburg auf und veröffentlichte sie 2011 auf dem Album „NESAYA – Wie soll ich Leben“. 2012 bekam er den VDM-Award beim internationalen Grand Prix für Musikschaffende. Im selben Jahr wurde ein Titel bester Funk- und Soul-Song beim Deutschen Rock- und Pop-Preis.

Eher zufällig stieß er beim Schreiben der Familiengeschichte auf interessante Schicksale, die ihn veranlassten, sich intensiv mit europäischer Geschichte zu beschäftigen. Seine Bücher sind spannungsgeladen und besitzen eine hohe Erzählgeschwindigkeit.

„Es scheint außergewöhnlich, wenn ein Songwriter mit einem Mal dicke Bücher schreibt. Beim näheren Hinsehen wirkt es nicht überraschend, denn Strauch legte schon immer großen Wert auf gute Texte. Nicht ohne Grund wurden Songs aus seiner Feder mit internationalen Preisen geehrt. Jetzt sind die Texte etwas länger geraten. Statt einer sind es jetzt 700 Seiten. Geblieben ist der hohe Anspruch fernab von Banalität und Effekthascherei. Präzise Recherchen bildeten die Grundlagen der historischen Kriminalromane, die die üblichen Grenzen sprengen.“ KUKURYKU! Kunst i Kultura

„Historisch, spannungsgeladen und mysteriös: „Scribent – Sapere aude“ von Wolfgang Armin Strauch ist ein außergewöhnlicher Polit-Thriller, in dem starke und intelligente Frauen in einem ungewohnten Zusammenhang gezeigt werden.“ Literaturblog Carpe Gusta

Mehr über den Autor erfahren Sie auf ihrer Homepage: www.wolfgang-strauch.com

 

 

 

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