Interview mit Tessa Duncan

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Tessa Duncan
Foto: Marita Spang

Liebe Tessa, Liebe Marie,

zunächst einmal vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst und mir zu einem Interview bereitstehst. Deine Canterbury-Fälle sind mit Wer mit den Wölfen heult in die zweite Runde gegangen. Magst Du kurz berichten, um was es dieses Mal geht?

Lily Brown, Psychotherapeutin und Honorarpsychologin für die Kent Police wird mit der Beurteilung der Dienstfähigkeit des Police Sergeant Martin Gordon beauftragt, der im Rahmen eines gemeinsamen Einsatzes seinen Kollegen Clark Jarrett angeschossen hat. Lily gewinnt rasch den Eindruck, dass die beiden eine konflikthafte Beziehung verbindet, deren Wurzeln in ihrer gemeinsamen Zeit bei der Londoner Metropolitan Police liegen. Aber Martin Gordon verweigert sich ihren Nachforschungen und bricht den Kontakt zu Lily schließlich ab.

Als er sich unerwartet das Leben nimmt, empfiehlt er Lily als diejenige, die das wahre Geschehen herausfinden könnte. Daraufhin wird sie als informelle Vermittlerin eingesetzt und stößt auf ein unglaubliches Komplott bei der Polizei.

Im zweiten Handlungsstrang behandelt Lily eine Patientin, die nach dem Tod ihres ersten Säuglings durch den plötzlichen Kindstod um das Leben ihres zweiten Babys bangt, mit dem sie schwanger ist. Auch hier stellt sich jedoch im Laufe der Zeit heraus, dass nichts so ist, wie es anfangs schien.

Der Titel beinhaltet Wölfe, jedoch widmest Du Dich eher den zweibeinigen. Wie kamst Du auf die Thematik? Hast Du einen besonderen Bezug dazu? Wie sahen Deine Recherchen aus?

Das psychologische Phänomen, das mich für diesen Roman am meisten interessiert hat, nennt sich Korpsgeist. Eigentlich ist Korpsgeist, d. h. der enge Zusammenhalt einer Gruppe, die sich besonderen Gefahren ausgesetzt sieht und daher aufeinander angewiesen ist, vom Grundsatz her positiv. Es gibt jedoch die Kehrseite, dass man auch Vergehen innerhalb der eigenen Gruppe vertuscht, wenn sie auftreten.

Ein sehr prominentes Beispiel für einen solchen „negativen“ Korpsgeist ist der Fall der rechtsextremen hessischen Gruppe, die wahrscheinlich unter dem Namen NSU 2.0 Drohbriefe an verschiedene Personen versandt hat. Dabei handelte es sich auch um Polizisten, denen man letztlich jedoch nichts nachweisen konnte, weil niemand bereit war, gegen sie auszusagen, und alle Beweise frühzeitig vernichtet wurden.

Zwar liegt dieser Fall meinem Roman nicht zugrunde, aber ich begann, mich für das Thema „Korpsgeist bei der Polizei“ zu interessieren. Dabei stieß ich auf andere True-Crime-Fälle, die ebenfalls nur durch das Phänomen Korpsgeist geschehen konnten und zum Teil jahrelang unaufgeklärt blieben.

In meinen Recherchen habe ich mich daher viel mit Forschungsergebnissen und Untersuchungen investigativer Journalisten, wie zum Beispiel Georg Restle von Monitor, beschäftigt, die das Phänomen „Korpsgeist in Polizeibehörden“ untermauern.

Mit den damit einhergehenden psychologischen Mechanismen „Gruppendruck“ und „Mobbing“, die sich auch unabhängig von einem zugrunde liegenden Korpsgeist entwickeln können, hatte ich in meinen über dreißig Berufsjahren als psychologische Unternehmensberaterin immer wieder zu tun. Diese Phänomene haben mich auch zum Titel „Wer mit den Wölfen heult“ inspiriert.

Wird es weitere Bände mit Psychotherapeutin Lily Brown geben?

Einen dritten Band wird es auf jeden Fall geben, den entsprechenden Vertrag mit dtv habe ich schon und der Plot steht in Grundzügen. Ich habe die Fertigstellung jedoch zugunsten meines neuen Goldmann-Projekts verschoben, der nächste Krimi wird daher wahrscheinlich im Frühjahr 2026 erscheinen.

Wie viel von dir steckt in Lily?

Lily Brown ist die Hauptfigur all meiner Romane, in der am meisten von mir selbst steckt. Zum einen beruflich, da ich in meinem ersten Berufsjahrzehnt als Psychotherapeutin gearbeitet und auch forensische Gutachten für eine Staatsanwaltschaft erstellt habe.

Aber durchaus auch privat: einige Irrungen und Wirrungen meiner jungen Erwachsenenjahre habe ich durchaus bei der Konstruktion der Persönlichkeit von Lily verwendet. Manchmal stören sich LeserInnen daran, dass Lily beruflich außerordentlich kompetent ist, aber ihr Privatleben nicht in gleichem Maße im Griff hat. Abgesehen davon, dass dies oft bei Psychotherapeuten genau so der Fall ist, passt das in einigen Lebensperioden auch auf mich. Im Privatleben sind nämlich auch Psychotherapeuten nur Menschen wie jeder andere.

Unter dem Pseudonym Marie Lacrosse veröffentlichst Du noch historische Romane. Warum zusätzlich ein zweites Genre? Wo siehst du bei deiner Arbeit als Autorin den Hauptunterschied zwischen den beiden Genres? In welchem Genre fällt dir die Arbeit als Autorin leichter?

Um mit meiner prominenten Kollegin Nele Neuhaus zu sprechen, ich wollte nach 12 historischen Romanen einmal etwas anderes ausprobieren. Mich reizte an den Kriminalromanen vor allem, dass ich hier viel freier in der Gestaltung meiner Protagonisten bin als bei meinen historischen Romanen. In denen spielen ja nicht nur viele historische Persönlichkeiten eine prominente Rolle, die ich nicht einfach nach meinem Gusto gestalten kann, sondern ich muss auch bei meinen fiktiven Hauptpersonen die Zwänge der jeweiligen Zeit berücksichtigen.

Allerdings habe ich rasch gemerkt, dass das Genre „Kriminalroman“ andere Anforderungen an mich als Autorin stellt, als das Genre „historische Romane“. Dies betrifft vor allem den Spannungsbogen, den ich in beiden Genres ganz unterschiedlich gestalten muss.

Bei einem historischen Roman geht es um das Schicksal von Menschen vor dem typischen Hintergrund ihrer Zeit, das ich Schritt für Schritt entwickeln kann. Beim Krimi um präzise Informationen über die aufzuklärenden Fälle. Hier muss ich frühzeitig die Weichen stellen, damit die Aufklärung am Ende plausibel und schlüssig ist und die Spannung bis dahin kontinuierlich steigt. Und mich dabei viel kürzer fassen, als im historischen Genre.

Insofern bieten beide Genres sowohl unterschiedliche Chancen als auch unterschiedliche Herausforderungen für mich als Autorin. Ich bevorzuge daher im Augenblick keins gegenüber dem anderen. Sollte es einmal so kommen, dass mir die Arbeit als Autorin in einem der beiden Genres sehr viel schwerer fallen würde als im anderen, würde ich dieses aufgeben.

 

 Könntest Du Dir vorstellen, noch ein anderes Genre auszuprobieren?

Nein, das kann ich mir im Augenblick nicht vorstellen. Denn wie ich ja eben schon sagte, beide Genres haben ihre eigenen Herausforderungen und ein drittes kommt daher zumindest vorläufig nicht infrage.

Wie sieht Dein Schreiballtag aus? Hast Du bestimmte Rituale?

Ich versuche, meinen Arbeitstag mit Recherchen, Plotten und vor allen Dingen Schreiben zu beginnen, wenn ich die notwendigen Informationen zusammengetragen habe. Alles andere, was sonst noch im Autorinnenleben eine Rolle spielt, zum Beispiel die Vorbereitung von Lesungen oder die regelmäßigen Posts auf den Sozialen Medien, verlagere ich nach Möglichkeit in den Nachmittag.

Leider gelingt das nicht immer. Denn die Anforderungen an mich als Autorin werden immer vielfältiger, je mehr Bücher von mir erschienen sind.

Was ist schwieriger zu schreiben? Der erste oder der letzte Satz?

Für mich immer der erste Satz. Den letzten Satz habe ich oft schon viele Kapitel vorher im Kopf.

Wie kamst Du zum Schreiben? Was inspiriert Dich?

Zum Schreiben kam ich ursprünglich als Hobby. Als Unternehmensberaterin war ich ungefähr 100 Tage pro Jahr nicht zu Hause und an vielen Abenden allein im Hotel. So entstand die Idee, einmal auszuprobieren, ob ich als notorische Leseratte, die ich schon als Mädchen war, auch selbst schreiben könnte.

Mein Hauptmotiv, historische Romane zu schreiben, womit ich ja den Schwerpunkt zu Beginn meines Autorennenlebens gesetzt habe, war es, dass ich immer wieder Romane gelesen habe, die voller historischer Fehler oder sogar absichtlicher Verfälschungen steckten. Das motivierte mich, den Versuch zu unternehmen, einen spannenden Roman vor dem Hintergrund der korrekten Zeitgeschichte zu schreiben.

Ähnlich war es dann vor einigen Jahren beim Genre Kriminalromane. Davon las ich sehr viele, denn neben meinen Recherchen auch noch historische Romane anderer AutorInnen zu lesen, gelang mir anfangs nicht. Zunehmend ärgerte ich mich allerdings auch bei den Krimis darüber, dass sowohl Opfer-als auch insbesondere Täterverhalten häufig psychologisch völlig unwahrscheinlich dargestellt wurde. Dies betrifft auch die Persönlichkeit von Tätern. Auch hier beschloss ich daher, den Versuch zu unternehmen, spannende Kriminalromane mit psychologisch korrekter Auflösung und Protagonisten zu schreiben.

Inspiriert wurde ich bei fast all meinen historischen Romanen von zeitgeschichtlichen Episoden, auf die ich zum Teil zufällig stieß. So liegt meinem Debütroman „Hexenliebe“ eine Legende zugrunde, die ich auf einer Wanderung im Eifelstädtchen Neuerburg fand und zunächst für bare Münze nahm. Als ich dann mit meinen Recherchen begann, stellte ich fest, dass Neuerburg auch jenseits dieser Legende eine reale Geschichte aus der Zeit der Hexenverfolgung hat, die dem Roman zugrunde liegt.

Ähnlich ging es mir mit meinem ersten Canterbury-Fall „Wer das Vergessen stört“. Auch hier stieß ich durch einen reinen Zufall auf den zugrunde liegenden True-Crime-Fall und begann mich schon lange vor meinem ersten Vertrag bei dtv damit zu beschäftigen, wie man auf dieser Grundlage einen spannenden Krimi schreiben könnte.

Also suche ich seither sowohl historische Ereignisse, die mich besonders interessieren, als auch weitere True-Crime-Fälle für meine Kriminalromane.

Was ist bis jetzt der schönste Moment in Deiner bisherigen Zeit als Autorin gewesen?

Oh, da gibt es mehrere. Dazu gehört der für mich völlig unerwartete Gewinn des Literaturpreises GOLDENER HOMER für meinen ersten Roman „Hexenliebe“ im Frühjahr 2015. Ebenso wie der erste, ebenfalls unerwartete Platz auf der Spiegel-Bestsellerliste mit Bd. 1 meiner Weingut-Saga im August 2018. Und meine erste ausländische Lizenz, die tschechische Übersetzung der Weingut Saga, der weitere Lizenzen, auch in anderen Sprachen, folgten.

Und zu guter Letzt: An was arbeitest Du gerade?

Im Augenblick arbeite ich am zweiten Band meiner Montmartre-Dilogie. Ursprünglich wollte ich angesichts eines Jubiläums eigentlich die Geschichte des berühmten Varietés Moulin Rouge beschreiben. Aber dann stellte sich heraus, dass Montmartre noch viel mehr zu bieten hat als Cancan, sogar noch sehr viel mehr als die faszinierende Kunstszene, die sich dort zur gleichen Zeit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte.

Band 1 „Montmartre – Licht und Schatten“ wird am 23. April 2025 erscheinen.

Liebe Tessa, Liebe Marie, vielen Dank für das interessante Interview.

Tessa Duncan

Tessa Duncan aka Marie Lacrosse hat in Psychologie promoviert und ist ausgebildete Klinische Psychologin und Psychotherapeutin. Nach zehn Jahren in diesem Berufszweig und weiteren fast 30 Jahren als selbstständige psychologische Unternehmensberaterin konzentriert sie sich heute fast nur noch aufs Schreiben

Ihre Schriftstellertätigkeit begann sie ursprünglich als Hobby unter ihrem Klarnamen Marita Spang mit historischen Romanen. Unter dem Pseudonym Marie Lacrosse wurde sie zur vielfachen Bestsellerautorin, ebenfalls im Genre historische Romane.

Mit den „Canterbury-Fällen“, erschienen bei dtv, kehrt die Autorin zu ihren beruflichen Wurzeln zurück und bringt ihr ganzes psychologisches Wissen in die Geschichte ein. Aus dieser Perspektive beleuchtet sie die Tiefen und Untiefen der menschlichen Psyche, in jedem der Bände mit einem anderen Schwerpunkt.

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