Interview mit Harald Schneider

Harald Schneider
Foto: Harald Schneider

Lieber Harald,

vielen Dank, dass Du Dir Zeit nimmst, für ein kurzes Interview. Du bist selbst sehr stark eingespannt und seit einiger Zeit mit einem Programm zur Leseförderung aktiv. Magst Du etwas darüber berichten?

Die Zeiten haben sich zweifellos geändert. Diese gesellschaftlichen Veränderungen zu bewerten, steht hier nicht zur Debatte. Früher hat die Jugend Karl May gelesen. Die Romane begannen mit gefühlten 40 Seiten Landschaftsbeschreibung, bevor ein Protagonist die fiktive Bühne betrat. Mit solchen Werken kann man in unserer schnelllebigen Zeit keine Jugendlichen mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Literatur muss spannend sein, voller Handlung und Identifikationsmöglichkeiten.

Das mache ich seit 20 Jahren mit interaktiven Abenteuern, die man in verschiedenen Varianten lesen kann. Solche Bücher, bei denen der Leser an bestimmten Stellen in die Handlung eingreift und entscheidet, auf welcher Seite das Abenteuer weitergeht, gibt es zwar schon länger. Aber ich habe das System perfektioniert: Jedes Buch der „Palzki-Kids“-Reihe kann in mehreren Billionen Varianten gelesen werden. Und das ganz ohne erhobenen Zeigefinger!

Hervorragend funktionieren die Bücher auch bei Lesungen in der Schule, wenn alle Zuhörer, oder besser aktiv Beteiligten, nach jedem Abschnitt gemeinsam entscheiden dürfen, wie es weitergeht. Das funktioniert im Klassenverband genauso wie bei Turnhallenlesungen mit mehreren hundert Schülern gleichzeitig. Und am Ende bekommen alle nach bestandenem Abenteuer einen Schülerstreich vorgelesen, z.B. „Wie man einen Lehrer zur Verzweiflung bringt“.

Wie ist diese Idee entstanden?

Angefangen hat alles mit Kinderkrimis um die Jahrtausendwende. Da ich immer auf der Suche nach außergewöhnlichen (Buch-)Ideen bin und eine mehr als grenzenlose Fantasie besitze, hat sich das irgendwann verselbstständigt. Die ersten interaktiven Krimis habe ich auf der Rückseite einer alten, zehn Meter langen Tapetenrolle skizziert. Wichtig ist mir, dass es keine Sackgassen oder „tote“ Punkte gibt. Der aktive Leser hat früher oder später immer ein Erfolgserlebnis. Die Entwicklung von Kinderbüchern ist eine ganz andere (Literatur-)Welt als die von Romanen für Erwachsene.

Wie wird sie angenommen und wie kann man mitmachen?

Das Konzept verbreitet sich vor allem durch Mundpropaganda. Die interaktiven Veranstaltungen unterscheiden sich deutlich von den üblichen Wasserglaslesungen, bei denen der Autor hinter einem Tisch sitzt und den Schülern eine Geschichte vorliest. Ich stehe immer und beziehe die Schüler in die Handlung mit ein. Sie sind sozusagen Teil des Abenteuers. Diese Veranstaltungen eignen sich sowohl für Schulen (Zielgruppe zweite bis sechste Klasse) als auch für Bibliotheken und Buchhandlungen.

Seit der Corona-Zeit habe ich das Konzept nachhaltiger ausgebaut. Viele interaktive Abenteuer, Rätselkrimis und Schülerstreiche veröffentliche ich seitdem kostenlos auf meiner eigenen Website, um den Schülern nach einer Veranstaltung weiteren Lesestoff zu bieten. Damit erreiche ich auch Kinder, die zu Hause mehr oder weniger buchfrei leben. Weitere Informationen unter www.palzki-kids.de

Harald Schneider beim Krimitag 2023
Foto: Carmen Vicari

Dein Steckenpferd sind allerdings die Bücher mit Reiner Palzki. Im Juli 2023 ist bereits der 23. Band erschienen und der nächste winkt schon am Horizont. Magst Du ein wenig zum aktuellen Fall berichten bzw. auch einen Ausblick auf den nächsten geben?

Ich versuche immer, interessante Themen und Orte in der Kurpfalz zu finden. Am liebsten Themen, von denen ich selbst zunächst wenig Ahnung habe. Die Recherchearbeit für jeden neuen Band erweitert mein Wissen jedes Mal enorm. In Band 23 geht es um den Rhein, einen Yachthafen und die Rheinschifffahrt. Wie immer gibt es inzwischen mehr reale als fiktive Personen im Roman. Alle Akteure im Jachtclub sind real, bis hin zum Hafenmeister, der eigentlich der Mann meiner Cousine ist und im Roman zum Mann von Palzkis Cousine umgedeutet wird. Neben dem Mordfall geht es am Ende auch darum, warum ich durchgehend „Jacht“ und nicht „Yacht“ schreibe …

Band 24 ist längst geschrieben, er wird im Juni 2024 unter dem Titel „Pfalz Wein Mord“ erscheinen und hat mit dem Neustadter Saalbau und der Weinbruderschaft der Pfalz zu tun. Derzeit recherchiere ich für Band 25 zu den Themen Pfälzer Mundart und Schnapsbrennen.

Woher nimmst Du nach 23 fast 24 Büchern Deine Ideen für weitere Fälle für Reiner Palzki?

Ich leide an einem zum Glück unheilbaren „Burn-in“, einer grenzenlosen Phantasie. Ich habe jeden Tag Ideen für hundert neue Romane, aber leider nicht die Zeit, sie alle aufzuschreiben. Außerdem habe ich eine vielseitige Worddatei mit potenziell mehr als unendlich vielen Ideen, die ich noch alle in das Palzkiversum einbringen möchte.

Wie sehen Deine Recherchearbeiten aus? Läufst Du die Wege Deiner Protagonisten ab?

Für jeden Band gehe ich informelle Kooperationen mit Unternehmen, Vereinen, Institutionen ein, die dann in den Roman einfließen. So kann ich die Handlungsorte authentisch und hinter den Kulissen beschreiben und dem Leser einen Mehrwert bieten. Die Recherchen zu den jeweiligen Schwerpunktthemen erweitern jedes Mal mein Wissen. Die Handlungsorte gibt es also bis auf wenige Ausnahmen wirklich.

Eine sehr markante – und zum Glück fiktive – Person, ist Frau Ackermann, die Frau, die schneller spricht als ihr Schatten (Video) . Wie wurde sie „geboren“?

Frau Ackermann war im ersten Band nur als „einmalige Person“ gedacht. Dann gab es viele Kommentare nach Lesungen wie „So eine Nachbarin haben wir auch“. Das hat sich dann verselbstständigt und so hat sie jetzt immer einen kurzen Auftritt, auch wenn sie mit der Haupthandlung meist nichts zu tun hat. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich den Monolog sehr schnell lesen kann. So wurden die Szenen zu einem Running Gag, den ich bei Lesungen immer kurz vor der Pause zum Besten gebe.

Wie viel von Dir und Deiner Familie steckt mittlerweile in Reiner Palzki?

Mehr als mir lieb ist…

Im Ernst, am Anfang der Serie wollte ich Palzki, seine Frau und ihre Kinder möglichst weit weg von meiner eigenen Familie platzieren. Das ging irgendwie schief. So durfte ich viele Erlebnisse der Familie Palzki am eigenen Leib miterleben. In den Romanen ist das natürlich alles übertrieben. Denn eine normale Familie kann so etwas nicht erleben, oder?

Hast Du Rituale beim Schreiben? Wie sieht ein normaler Tag bei Dir aus?

Ich hasse Rituale. Kreativität und feste Rituale oder Regeln sind für mich Gegensätze. Auch die Exposés der Romane sind am Anfang höchstens eine Seite lang. Oft weiß ich erst gegen Ende der Schreibphase, wen ich zum Täter mache. Diese Flexibilität erlaubt es mir, meiner Fantasie freien Lauf zu lassen, spontane Running Gags einzubauen und den Verlauf der geplanten Geschichte von einem Moment auf den anderen zu ändern. Das macht es auch für den Leser schwierig, den Täter vor dem Showdown zu erraten.

Was war der bisher schönste Moment in Deinem Autorenleben?

Das war der Moment, in dem ich meinen Hauptberuf als Betriebswirt an den Nagel gehängt habe, um hauptberuflich Schriftsteller zu werden. Seitdem mache ich eigentlich nur noch das, was mir Spaß macht. Und das ist unter anderem das Schmieden neuer Geschichten, das Recherchieren, das Schreiben und die verschiedenen Veranstaltungen für Schüler und Erwachsene.

Ich war schon immer ein Optimist, und jetzt geht es mir noch besser. Ich hoffe, dass ich noch einige Jahrzehnte bei guter Gesundheit leben kann. Ich kann es nur jedem empfehlen. Verbissenheit und Grübeln verderben nur die Lebensqualität.

Das Einzige, was ich nicht so gerne mache, ist das Signieren nach den Lesungen: Zum einen ist nach einer Veranstaltung die Feinmotorik in den Fingern etwas eingeschränkt (Grund unbekannt), zum anderen wegen meiner Sauklaue. Das Medizinstudium ist am NC gescheitert …

Und zu guter Letzt: Woran arbeitest Du gerade? Auf was dürfen wir uns freuen?

Bis Ende Januar werde ich ein Kurzexposé für den 25. Palzkiband haben, im Februar beginnt die Recherche und dann die Schreibarbeit. Alles andere lasse ich auf mich zukommen, denn zu viel Planung stört mein Lebenskonzept der Freiheit …

Lieber Harald, vielen Dank für Deine Zeit und das interessante Interview.

Harald Schneider

Harald Schneider (* 1962 in Speyer) ist ein deutscher Schriftsteller. Neben seiner Tätigkeit als Kinder- und Jugendbuchautor schreibt er Krimis für Erwachsene.

Harald Schneider wohnt in Schifferstadt bei Ludwigshafen und begann bereits während seines Studiums zu schreiben. In Kundenzeitschriften und Regionalzeitungen wie der RHEINPFALZ hat er seinen Protagonisten Kriminalhauptkommissar Reiner Palzki etabliert, der in der Kurpfalz ermittelt (Pfalz-Krimis). Seit 2008 erscheinen Palzkis Abenteuer im Gmeiner Verlag.

Der Vater von vier Kinder (Jahrgang 1994 – 2008) beschäftigt sich außerdem intensiv mit Kinderratekrimis und Detektivgeschichten. Er setzt sich seit 20 Jahren für die Leseförderung von Schülern mit ungewöhnlichen Konzepten ein. Sein neues nachhaltiges Leseförderungskonzept (siehe www.palzki-kids.de), bietet er Schulen (Zielgruppe 2. – 6. Klasse) und Bibliotheken an. Hierzu wird er eine bidirektionale und dauerhafte Brücke zwischen der Bücherwelt und dem Internet installieren, um die Schüler dauerhaft mit Literatur zu motivieren.

In der Saison 2009 war er als erster deutscher Parkschreiber im Holiday Park Haßloch tätig.

Im Jahr 2022 erhielt Schneider den Orden „Pälzer Krischer”, der alljährlich an Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur oder Sport verliehen wird, die sich als sogenannte „Stimme der Pfalz“ verdient gemacht haben.

Im Rahmen der Aktion „Die Pfalz liest für den Dom“ (Europäische Stiftung Kaiserdom, Zentrum für Kultur- und Wissensdialog der Uni Koblenz-Landau sowie der Rheinpfalz) erreichte er bei der Wahl Lieblingsautor der Pfälzer den 3. Platz nach Sebastian Fitzek und Rafik Schami. (Link zur Urkunde, JPG)

2023 wurde er in das PEN-Zentrum Deutschland berufen.

1 thoughts on “Interview mit Harald Schneider

  1. Pingback: URL

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert